„Es ist einfach nervig.“ intonierte Greg. Er ließ das golden schimmernde Becks
in der 0.33l Flasche rotieren, bevor er einen Schluck nahm.
Ihm gegenüber zischte bereits der nächste Kronkorken. Ein Schluck mäßig
gekühltes Oettinger Pils floss in Dons Rachen. Er stellte die Flasche auf dem
verdreckten Glastisch ab.
„Was ist eigentlich dein Problem?“ wollte Don wissen. „Ich meine, du
meckerst die ganze Zeit rum! Na ja, aber mach dir mal keine Sorgen, ich weiß
schon wie ich dich wieder aufheitern kann.“
„Und wie?“ zischte Greg.
„Hab ne´ neue Story geschrieben. Musste dir mal anhören.“
„Bloß nicht! Das letzte was ich jetzt brauche, ist eine von deinen
schwachsinnigen Storys.“
„Hey!“
„Ne, im ernst. Lass uns lieber überlegen was wir jetzt machen. Ist schon
verdammt spät.“
Don sah auf die Uhr. Zehn Uhr abends war durch. Draußen sprühte vereinzelter
Regen aus dem nächtlichen Himmel. Und die Stadt barg ihre langweiligen
Abenteuer, die Woche für Woche aufs neue runtergespult wurden, wie alte
Videoaufnahmen von selbstgedrehten Kurzfilmen.
„Die Frage die sich stellt ist doch folgende.“ sagte Don „Lohnt es sich denn
wirklich jetzt noch in die Stadt zu fahren? Wo wir noch nicht einmal genau
wissen was uns heute erwartet.“
„Aber sonst hängen wir wieder den ganzen Abend hier rum und vergeuden
Zeit.“
Don trank einen überlegenden Schluck.
„Und in der Stadt… da würden wir keine Zeit vergeuden?“ sagte er schließlich.
Sie schwiegen einen Moment lang und betrachteten das ausgeblutete
Schachfeld. Der weiße König stand im Matt. Er war die letzte Figur gewesen die
Weiß geblieben war, und letztlich hatte Don ihn nicht mehr retten können. Doch
dieses Spiel lag gute zwei Stunden zurück und nun standen sie selbst im Schach.
Der Abend hatte sich bedrohlich um sie aufgebaut, er war mit seinen schwarzen,
nächtlichen Figuren in die Offensive gegangen und nun blieb nichts weiter
übrig, als sich zurückzuziehen oder einen Gegenangriff zu starten.
„Ach scheiße“ sagte Don nach einigen Minuten. „Lass uns Lafferty suchen
gehen.“
„Hast du nicht noch n konstruktiveren Vorschlag?“
„Ne, im Ernst. Überleg doch mal. Das wäre schon n Stück weit ne
Herausforderung. Na gut, dass Problem ist natürlich, dass man heutzutage alles
über das scheiß Internet finden kann, und es irgendwie kein richtiges
Abendteuer wäre ihn zu suchen.“
„Der ist eh schon tot. Überleg doch mal. Er hat etwa 1962 aufgehört zu trinken.
Da war er vielleicht…30 oder 35. Das heißt er wäre jetzt…so um die 75 oder so.“
„Na ja, aber er war ja immerhin ein Sportsfreund, nicht wahr? Da hat er den
Alkohol bestimmt gut weggesteckt.“
„Möglich. Und bei seinen Geschichten von bacchantischer Freude,
Kameraderie, Heimweh und dem immer neuen Glauben es müsse etwas
Wunderbares geben, wäre es für ihn bestimmt ein Genuss uns Schwachköpfe
vorzufinden. Vorausgesetzt er lebt noch. Wie wäre es denn wenn wir ihm
einfach mal schreiben würden?“
„Das könnte er doch gar nicht lesen. Es sei denn wir schreiben englisch.“
„Er ist doch Sammler von Sprachen. Und da er ja auch noch Junggeselle ist,
findet er bestimmt auch die Zeit den Brief wenn nötig zu übersetzten.“
„Er war 1972 noch Junggeselle. Das ist nichts was man zwangsläufig für
immer bleibt. Vor allem nicht wenn man Erfolg hat. Und wer hat schon mehr
Erfolg als R.A. Lafferty?“
„Da hast du Recht.“
Sie tranken ein paar Schlucke und versuchten mit kleinen
zusammengeknüddelten Papierkugeln in ihre Bierflaschen zu werfen. Es traf
keiner.
„Leg doch mal andere Musik auf.“ sagte Greg nach einer Weile.
„Und was bitte schön?“
„Keine Ahnung, aber nicht diesen Rock Scheiß. Hab mehr Bock auf n bisschen
Jazz oder Blues.“
„You`ve got the blues! Kein Wunder das du ständig so mies drauf bist.”
„Ich hab einfach keine Lust auf Phil Bates. Dann leg wenigstens Jimi rein.“
„Early Years wahrscheinlich, was?“
„Ja. Ich verstehe gar nicht was du dagegen hast. Haste dir doch schließlich
selber gekauft.“
„Ich hab ja auch gar nichts dagegen, es ist nur…“
„Was?“
„Ach, keine Ahnung.“
Sekunden später dudelte Red House für die nächsten 15.55 Minuten aus den
Lautsprechern.
Die nächsten leeren Bierflaschen gesellten sich auf dem Teppich zu
Ihresgleichen. Zwei neue Flaschen standen sich auf dem Tisch Angesicht in
Angesicht gegenüber.
„Wie wäre es mit nem kleinen Spielchen?“ fragte Greg.
„Was n für n Spiel?“
„Wortketten. Wer nicht weiter weiß muss trinken.“
„So viel zum Thema Zeitverschwendung. Na meinethalben.“
„Gut. Der letzte Teil des Wortes ist immer der erste Teil des neuen Wortes.“
„Alles klar. Du fängst an.“
„Okay…Arschgeige!“
„Geigerzähler!“
„Nix. Da ist n R zu viel.“
„Scheiße was! Ein Buchstabe ist ja wohl legitim.“
Greg überlegte einen Moment.
„Also gut. Aber dann muss es richtig schnell gehen. Und wenn man selber
merkt dass man nicht mehr kann, trinkt man gleich freiwillig.“
„Also schön. Dann steht mein Wort.“
„Ja…Zähler…äh…Zählerausschuss.“
„Wie bitte? Was zur Hölle ist denn ein Zählerausschuss?“
„Ach, keine Ahnung.“ Er trank.
Nach einigen Runden wurde das Regelwerk erweitert. Nun galt es alles
Assoziative in den Topf zu werfen. Was auch nur annähernd gleich klang oder
irgendeine Verbindung ergab – und war sie auch noch so abstrakt – galt als
Kette.
„Bratpfanne.“ sagte Don.
„Pfannengericht.“
„Richtschnur.“
„Urbanität.“
„Täterprofil.“
„Profilaxe.“
„Achselhaar.“
„Haarersatzkomposition.“
„Auf den trinke ich freiwillig einen.“ Don erhob die Flasche.
„Also mit in die Stadt gehen wird das dann heute wohl nichts mehr?“ sagte
Greg.
„Ich hab nicht son Bock. Ist auch schon ganz schön spät.“
„Wir könnten mit dem Bus runter fahren.“
„Ja schon…aber…ach keine Ahnung. Scheiß einfach drauf. Gehen wir halt
morgen. Aber wie ist es mit Lafferty?“
„Was soll denn mit Ihm sein?“
„Na, wollen wir Ihn suchen oder nicht?“
„Hör doch mit dem Quatsch auf. Aber wenn du Lust hast, können wir uns ja
morgen mal im Netz erkundigen.“
„Ich scheiß´ auf das Netz. Wie das schon klingt…Netz…zum kotzen. Ich will
ihn jetzt!“
„Na dann viel Spaß.“
Sie tranken eine Weile weiter und Jimi starb in den Lautsprechern.
„Bisschen Beatles?“
„Warum nicht.“
Das Loch entstand einige Minuten Später.
„Da ist n Loch!“ sagte Don.
Greg sah ungläubig auf den schwarzen Kreis, der sich in der hinteren Ecke des
Zimmers gebildet hatte.
„Was soll die Scheiße?“ wollte er wissen.
„Na das ist doch klar, oder nicht? Das ist das Loch aus der Geschichte Das
Loch an der Ecke.“
„Blödsinn. Wenn dem so wäre… dann müssten wir da gleich rauskommen. Ich
meine welche wie wir…na du weißt ja was ich meine.“
„Das wäre mir gar nicht geheuer.“ konstituierte Don.
Aus dem Loch ragte ein Kopf heraus, der dem Dons glich.
„Ach du scheiße!“ schrie der Don mit dem Bier.
„Prost!“ sagte sein Ebenbild. Dann weiter: „Na worauf wartet ihr
Schwachköpfe denn? Wollt ihr jetzt zu Lafferty oder nicht? Los, folgt mir.“
Der Kopf wurde von dem Loch verschluckt. Die beiden sahen sich ungläubig an.
Aber da sie ohnehin nichts zu tun hatten und der Alkohol sie beflügelte,
sprangen sie nacheinander in das Loch.
„Wo sind wir?“
„Keine Ahnung.“
„Ganz schön warm hier.“
„Ja.“
Sie wurden durch bunte Spiralen gewirbelt, geteilt, wieder zusammengesetzt,
prallten gegen Wände, blähten sich auf, platzten und flossen wieder zusammen
wie der T-1000.
Letztlich fielen sie auf eine Couch die in einem kleinen Zimmer stand, das
vollgestopft war mit Büchern und Zetteln und jeder Menge überflüssigem Kram,
wie Hinstellfiguren aus Pappe, Stofftieren, leerer Brausedosen (Er hatte ja das
Trinken aufgegeben), Videokassetten und einer unzähligen Menge Büchsen und
Schachteln.
Ihnen gegenüber saß ein dünner Mann mit einer Mütze auf dem Kopf. Er tippte
gerade etwas auf einer alten Juwel–Schreibmaschine. Nach einer kurzen Zeit
blickte er hoch.
„Ach ihr seid es.“ sagte er. „Ich dachte schon ihr würdet nicht herfinden.“
Don und Greg sahen ihn verwundert an. Schließlich sagte Greg:
„Sind Sie R. A. Lafferty?“
„Was? Oh…ja, der bin Ich. Höchstpersönlich! Ich hab gehört ihr Burschen
wolltet mich suchen, da hab ich’s euch n bisschen leichter gemacht. Ich hoffe
das Loch hat euch nicht zugesetzt?“
„Geht so.“
„Ha, Ha. Ja, es ist schon ne Erfahrung, da durch zu gehen. Na wie dem auch
sei, kann ich euch was anbieten? N Saft, oder ne Limo oder so?“
„Bier?“ fragte Don zweifelnd.
„Hm. Ja. Also dann halt Bier.“
Lafferty kramte unter dem Tisch an dem er saß zwei Flaschen Bier hervor.
„Ich dachte Sie würden nicht mehr trinken.“ sagte Greg.
„Ihr dachtet ja auch ich wäre ein Sportsfreund, nicht wahr? Glaubt bloß nicht
diesen ganzen Quatsch der über mich gesagt wird. Die schreiben nur Scheiße.
Ich trinke gerne mal einen. Und ich hasse Sport. Außerdem schreibe ich meine
Storys nicht selber.“
„Was?“ fuhren die beiden Gäste auf.
„Also im Prinzip schreibe ich sie schon selber… nur nicht so richtig. Einer der
vielen Laffertys schreibt sie für mich. Ich kümmere mich um die Verträge und
Verlage und den ganzen finanziellen Kram.“
„Hm.“ brummte Don. Er trank einen Schluck von dem Bier. „Also sind Sie
eigentlich ein ziemliches Würstchen.“
„Na, so weit würde ich nicht gehen.“
„Und ob! Sie sind ein Heuchler! Ein Hochstapler, wie der unechte Homer
Hoose!“
„Hey! Ich bin immer noch Ich! Ich bin R.A. Lafferty!“
„Da hat er recht.“ stimmte Greg zu.
„Na meinethalben.“ gab Don nach. Dann zu Greg gewandt: „Und was fangen
wir jetzt an mit dem Burschen?“
„Hm. Gute Frage. Herr Lafferty, was machen wir jetzt mit Ihnen?“
„Was wollt Ihr denn machen?“
„Das genau wollen wir ja gerade herausfinden. Wir könnten Sie sezieren.“
„Na, das wäre aber ein wenig vermessen.“ protestierte Lafferty. „Wie wäre es
denn mit ein wenig Dresche? Das muss ja wohl genügen.“
„Ich denke auch dass es genügen würde.“ sagte Don.
Greg sah skeptisch rüber zu dem Mann.
„Na, ich weiß nicht. Er ist schon eine ziemliche Lusche. Ein Arm muss
mindestens dran glauben.“
„Was sind denn das für Ideen?“ wunderte Lafferty sich. „Ich dachte ihr wolltet
mich was fragen, oder n bisschen mit mir Quatschen oder so. Und jetzt wollt ihr
mich erst sezieren und jetzt den Arm abnehmen! Was seid ihr denn für seltsame
Typen?“
„Komm schon Greg, warum sollten wir ihm den Arm abnehmen…wo wir doch
auch die Beine nehmen könnten!“ Hämisches Gelächter. Lafferty begann
unruhig zu werden. Er rutschte auf seinem Stuhl herum.
„Kommt schon Jungs, wollt ihr vielleicht Autogramme? Ich könnte euch n
Originalbuch signieren. Wie wäre es damit?“
„Ne.“ sagte Greg. „Aber signiere doch das Bein, das wir dir abnehmen werden.
Oder besser noch: Signiere beide Beine. Dann können wir jeder eins haben.“
Lafferty war aufgesprungen und versuchte durch das schwarze Loch zu flüchten.
Kopf und Oberkörper waren bereits verschwunden, als sie ihn an den Beinen
zurückzogen.
„Hey Jungs, hört auf damit!“ jaulte er.
Sie setzten die Säge – welche seltsamer Weise ebenfalls Bestandteil des Chaos
war – etwas oberhalb der Knie an. Lafferty schimpfte und fluchte die ganze Zeit
über, konnte die Amputation aber nicht verhindern.
„Guck dir sein Haar an.“ sagte Don. „Die selbe Farbe wie meins.“
„Alles klar! Für dich die Haare, für mich das komplette linke Knie.“
„Ihr könnt mich doch hier nicht aufteilen während ich zuhöre!“
„Mein Bierbauch stört mich auch schon ne ganze Weile.“ bemerkte Don.
„Ja. Und mich stört meine Nase. Ich glaube die nehme ich zur Sicherheit noch
mit.“
„Sonst noch was?“ beschwerte sich Lafferty.
„Ne, ich glaube das wars fürs erste. Aber wir wissen ja wo wir Dich finden
können.“
Sie packten die Körperteile fein säuberlich in eine der vielen Dosen. Die Beine
nahmen sie unter die Arme, weil sie zu groß waren.
„Also schön Herr Lafferty, war nett Sie kennen zu lernen.“
„Ja, Ja. Macht bloß dass Ihr wegkommt. Wahnsinnige!“
Eine Woche später saßen Greg und Don wieder bei Don im Zimmer und tranken
Bier.
„Hab ne Menge Komplimente gekriegt, wegen meiner neuen Frisur.“ sagte
Don.
„Ja. Ich kann endlich wieder vernünftig laufen und Sport treiben.“
„Hm. Also du kannst laufen und tanzen, ich sehe verdammt gut aus, was
machen wir noch länger hier? Ich würde sagen wir trinken aus und ab geht’s in
die Stadt.“
„Alright.“ prostete Greg zu.
„Nein, bitte nicht auf englisch.“
„Hast du was gegen mein englisch? Hä?“
„Nein. Es kommt nur…na ja…n bisschen arm halt.“
„Was? Und glaubste bei dir kommt es besser?“
„Yeah!“
„Ich bitte dich…das war nur erbärmlich.“
„Ach scheiß drauf.“
Den Bus um 19 nach verpassten sie knapp.