„Die Bude ist total für ́n Arsch!“ brummte Nick.
Die Vermieterin sah ihn Kaugummi kauend an.
„Soll das heißen, Sie wollen das Apartment lieber nicht mieten?“ schmatzte sie.
„Nein. Das bedeutet, es ist perfekt.“ Nick steckte sich zufrieden eine Zigarette in den
Mund, nur um sie nach empfangenem Augenbrauen runzeln seiner Gegenüber wieder in
der Jackentasche verschwinden zu lassen. Die Dame mit der er es zu tun hatte, war eine
drahtige Mittfünfzigerin die scheinbar Wert auf Ordnung legte, und sich dennoch
kumpelhaft als Janine vorgestellt hatte.
„Also schön! Die Miete ist pünktlich zum ersten fällig. Keine Haustiere, keine Partys
oder laute Musik. Ich wohne direkt unter Ihnen. Ich kriege also mit, wenn Sie scheiße
bauen!“
„Klingt doch hervorragend. Sonst noch was, dass ich wissen müsste?“
„Warmes Wasser gibt’s nur zwischen sechs und zehn Uhr morgens, und dann noch mal
zwischen 18 und 20 Uhr. Fragen Sie gar nicht erst, das ist eine lange Geschichte.
Gegenüber von Ihnen wohnt Anna, eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Jungen. Eine
nette junge Frau. Und attraktiv…wenn Sie verstehen was ich meine! Vielleicht können Sie,
sie ja mal zum Essen einladen. Na wie auch immer. Über Ihnen wohnt seit gefühlten
hundert Jahren der alte Victor. Ist glaube ich n Ukrainer, oder Ungar oder so was. Von dem
kriegen Sie gar nichts mit. So ist ́s mir am liebsten. Hier sind die Schlüssel. Passen für
Unten und Oben. Der große ist für den Keller.“
Janine reichte Nick einen Schlüsselring, an dem lässig ein Krokodil-Anhänger baumelte.
Als er ihn nehmen wollte, hielt sie ihn fest.
„Was machen Sie eigentlich beruflich?“ fragte sie.
„Ist das wichtig?“ stöhnte Nick.
„Nicht unbedingt. Solange Sie pünktlich zahlen, und sich an die Hausordnung halten.
Dennoch. Ich weiß gerne mit was für einem Menschen ich es zu tun habe.“
„Ich war Boxer.“ sagte Nick.
Janine sah ihn fragend an.
„Sie waren? Heißt das, dass Sie jetzt nicht mehr boxen?“
„Ich schätze das heißt es.“
Sie ließ den Schlüsselring los. Einen Moment herrschte Stille.
„Waren Sie gut?“ fragte sie dann. „Weltmeister oder so was?“
„Glauben Sie im ernst, wenn ich Weltmeister gewesen wäre, würde ich hier einziehen?“
„Hm. Schon gut. Man weiß ja nie. Berühmtheiten sind oft exzentrische Leute.“
„Und das wissen Sie woher?“
„So was weiß man eben.“
„Ich kann Sie beruhigen, ich bin keine Berühmtheit.“
Zwei Stunden später hatte Nick seine Koffer ausgeräumt, die Grünpflanze im Fenster
positioniert, seine Sport Illustrierten auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet und mit
einiger Abscheu festgestellt, dass es viel mehr nicht zu tun gab. Ein altes paar
Boxhandschuhe hängte er an einen bereits eingeschlagenen Nagel, an dem einmal sonst
etwas gehangen haben mochte. An den ansonsten kahlen Wänden machten sie einen
übertrieben traurigen Eindruck.

Immerhin gab es eine einigermaßen brauchbare Einrichtung: Kühlschrank mit Eisfach,
Zweiplattenherd, Couch, Fernseher, Bett. Vielmehr brauchte er ohnehin nicht.
Nachdem er einkaufen gewesen war, und den Tag bei einem kalten Bier ausklingen lassen
wollte, klopfte es an der Tür.
Nick ließ die Zigarette zwischen die restlichen gebratenen Nudeln in der Pappbox fallen,
und drückte sie mit dem Essstäbchen aus. Die Glut fraß sich in ein übrig gebliebenes Stück
Hühnchen, und erlosch zischend.
Er stand auf, kippte das Fenster an und polterte ungelenk zur Tür.
Zu seiner Überraschung strahlte ihn das freundliche Gesicht einer attraktiven Blondine an.
„Hi!“ sagte die Blondine. „Ich bin Anna von Nebenan. Ich wollte Sie bei uns im Haus
willkommen heißen.“
Nick schüttelte die entgegengestreckte Hand.
„Nick.“ sagte er. „Freut mich.“
Nach einem Moment des Schweigens und des gegenseitigen Abtastens sagte Anna
schließlich :
„Wollen Sie mich nicht hereinbitten?“
„Eigentlich nicht.“ sagte Nick ohne zu überlegen. Als er die Enttäuschung im Gesicht
seiner Gegenüber sah, bemerkte er den Fauxpas und fügte rasch hinzu: „Ich meine…ja!
Genau. Das wollte ich Sie gerade…also möchten Sie auf ein Bier…?“
„Klar!“ Anna schob sich an Nick vorbei in die Wohnung. Sie sah sich um.
„Schön haben Sie es hier.“ sagte sie, und ließ sich auf die Couch fallen. „Die Pflanze
gefällt mir. Die macht ́s irgendwie wohnlich finde ich.“
„Finde ich auch.“ sagte Nick.
„Vielleicht sollten Sie noch ein paar Bilder aufhängen. Ich meine, wenn Sie nicht
vorhaben zu renovieren. Wegen der vielen Flecken an der Wand.“
„Ich bin ja gerade Heute erst eingezogen…“
Annas Blick fiel auf die Boxhandschuhe.
„Wow!“ sagte sie. „Sind Sie Boxer?“
„Nicht mehr.“ sagte Nick und holte zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank.
„So? Was ist passiert? Schon im Ruhestand? So alt sind Sie doch noch gar nicht.“
Er reichte Anna ein Bier und setzte sich neben sie. Sie stießen an.
„Also?“ hakte Anna nach. „Haben Sie im Ring einen umgebracht und ihre Lizenz
verloren, oder was?“
„Wie kommen Sie denn ausgerechnet darauf?“
„Oder sollten Sie einen Kampf verlieren? In der dritten zu Boden gehen, damit die
Buchmacher die Ihnen im Nacken sitzen kassieren können? Ich wette das ist es. Ihr
Gewissen hat nicht mitgemacht, Sie haben den Kampf gewonnen, und jetzt sind Sie auf
der Flucht und müssen hier untertauchen.“
„Schulterverletzung.“ sagte Nick. „Und das war ́s dann auch schon.“
„Hm. Na gut. Auch ziemlich dramatisch. Ich arbeite bei der Post. Ziemlich ungefährlicher
Job, wenn man von manchen recht launischen Hunden absieht. Und ich weiß was sie jetzt
denken…“
„Tatsächlich?“
„Klar. Sie denken: Post? Aussterbendes Gewerbe. Bei den ganzen emails und so. Aber
täuschen Sie sich nicht. Pakete werden immer noch verschickt. Und eines Tages wird es
auch zur Renaissance des Briefeschreibens kommen. Da bin ich ganz sicher.“

„Klar.“
„Was hat Sie ausgerechnet nach Göttingen verschlagen?“ fragte Anna. „Man sieht Ihnen
an, das Sie aus der Großstadt sind. Göttinger erkennt man sofort. Die haben dieses
Nichtssagende Etwas, bei dem man sofort abschalten möchte. Wissen Sie was ich meine?
Die kleiden sich bunt, um zu kaschieren das sie grau sind. Dadurch wirken sie schwarz.“
„Wow. Sie sind aber ziemlich aufmerksam und gewieft, für eine Briefträgerin.“
„Nicht wahr! Also? Woher?“
„Hamburg. Hab dort ne Zeit lang im Hafen gearbeitet. Aber meine Schulter…na ja, ich
dachte es wird Zeit für einen Tapetenwechsel.“
„Klar. Kann ich verstehen. Ich bin ursprünglich aus Bochum. Das liegt im Ruhrgebiet.“
„Danke! Ich weiß wo das liegt.“
„Oh! Na klar. Tschuldigung. Ich wollte Sie nicht vor den Kopf stoßen – ups, hab ich das
gerade gesagt? Vor den Kopf stoßen! Und das zu einem Boxer! Manchmal denke ich
wirklich nicht nach. Ich meine, man weiß ja nie so genau mit wem man es eigentlich zu
tun hat. Ich kannte mal einen, der war Lehrer, und der wusste nicht wo Wattenscheid
liegt.“
„Tatsächlich? Was war er für ein Lehrer?“
„Mathematik und Physik.“
„Na, dann dürfte es für ihn ziemlich egal sein, wo Wattenscheid liegt, oder nicht?“
„Ja, wahrscheinlich schon. Und haben Sie schon Pläne?“
Nick sah auf seine geleerte Flasche.
„Wie wäre es mit noch einem Bier?“ sagte er. „Das wäre der vorläufige Plan.“
„Sie haben aber n ordentlichen Schluck. Na klar.“ Anna kippte sich den Rest ihres Biers
in den Hals, rülpste, wischte sich den Mund mit dem Ärmel und entschuldigte sich
lächelnd. Nick stand auf, stellte die leeren Flaschen auf den Kühlschrank und nahm zwei
neue heraus.
„Ich weiß nicht so genau.“ sagte er. „Vielleicht kann ich irgendwo als Hausmeister
anfangen. Handwerklich bin ich nicht unbegabt.“
Anna hielt einen Moment inne. Dann schien sie der Blitz der Erkenntnis getroffen zu
haben.
„Wieso fragen Sie nicht mal Janine? Hier im Haus müsste einiges gemacht werden.
Allein die Wasser-Situation erfordert dringend der Behebung. Janine wird es Ihnen sicher
gesagt haben.“
„Das es nur morgens und abends warmes Wasser gibt? Ja. Was hat es damit auf sich?“
„Das ist eine lange Geschichte!“ seufzte Anna. Dann nach einem Moment schenkte sie
Nick ihr bestes Lächeln.
„Ich habe eine Idee.“ sagte sie. „Wenn Sie etwas für mich tun, dann tue ich etwas für Sie.
Quitt pro quo. “
Nick trank einen großen Schluck Bier.
„Also schön.“ sagte er. „Um was geht’s?“
Annas Zähne wurden größer und weißer, der Mund breiter, die Nase niedlich gerümpft.
„Ich habe einen Sohn.“ sagte sie. „Flips. Also eigentlich Philipp, aber er nennt sich selbst
gerne Flips.“
„So wie Erdnuss Flips?“
„Ja, schätze schon. Er ist zwölf. Und er liebt Wrestling!“
„Okay…“

„Ich hingegen kann damit überhaupt nichts anfangen. Und nun ist diese Organisation
aufgetaucht. BWA. Big Wrestling Action. Die Jungs kommen aus dem Harz, und die
liefern ne wahnsinns Show ab. Am Wochenende sind sie in Göttingen. Flips möchte
unbedingt hingehen, aber ich habe am Wochenende kaum Zeit. Na ja, da dachte ich…Sie
mit ihrem Kampfsport Hintergrund, vielleicht wäre das was für Sie. Ich würde natürlich
den Eintritt bezahlen. Und die Getränke. Es gibt sogar Bratwurst!“
Nick rieb sich die Stirn.
„Ich weiß nicht recht…“ sagte er.
„Im Gegenzug würde ich Janine davon überzeugen, dass Sie hier als Hausmeister
anfangen können.“
„Und das bekämen Sie hin? Janine kam mir recht…wie soll ich sagen…“
„Ja, ich weiß. Aber ich hab einen guten Draht zu Menschen. Ach, bitte! Sie werden sich
amüsieren! Und Sie werden Flips mögen. Er ist ein guter Junge. Und ein harter Kerl wie
Sie, der muss das doch lustig finden: N Haufen nackter Turner in Badehosen.“
Nick lächelte. Er mochte Anna von Anfang an. Sie war ein appetitlicher Happen. Und den
Job konnte er auch gebrauchen. Er exte das Bier und stimmte zu.
„Klasse!“ freute sich Anna. „Sie werden es nicht bereuen. Wenn Sie möchten koche ich
dann später etwas für uns. Meine Käse-Makkaroni sind hier in der Gegend legendär. Na ja,
eigentlich nicht. Aber sie könnten es sein. Das Geheimnis sind die frischen Tomaten.
Dadurch schmeckt es ein wenig wie Pizza. Nur ohne den Teig. Also ich meine den Pizza
Teig. Die Nudeln haben selbstverständlich auch Teig. Sind ja ne ́ Teigware.
Genaugenommen schmeckt ́s eher nach Lasagne, als nach Pizza…“
„Schon gut.“ lächelte Nick. „Sie haben mich überzeugt. Zu erst halbnackte Turner in
Badehosen, danach legendäre Käse-Makkaroni die nach Lasagne schmecken. Damit ist
mein Wochenende gerettet.“
Am nächsten Vormittag sprang Nick panisch aus der Dusche, und wäre beinahe auf den
nassen Fliesen ausgerutscht. Er hatte das eiskalte Wasser vergessen. Nachdem er sich
dennoch gewaschen hatte, machte er einige Besorgungen in der Innenstadt. Er schlenderte
durch die Fußgängerzone, und versuchte ein Gefühl für die Stadt zu entwickeln. In
Göttingen konnte man das nötigste bekommen, ohne große Distanzen überwinden zu
müssen. Er kaufte einen Wasserkocher, Lebensmittel und einige Kleinigkeiten. Dann fuhr
er mit dem Bus zurück nach Hause. Der Fahrpreis ärgerte ihn, aber immerhin waren die
Anbindungen offensichtlich akzeptabel.
Zu Hause angekommen öffnete er das Fenster, und steckte sich eine Zigarette an.
Kurze Zeit später klopfte es an der Tür.
Nick schnippte die Kippe hinaus, und machte auf.
Vor der Tür wartete ein Junge in seinem Rollstuhl.
„Hi.“ sagte der Junge. „Ich bin Philipp. Meine Freunde nennen mich Flips.“
„Nick.“ sagte Nick. Einen Moment wusste er nicht was er sonst sagen sollte. Er fühlte
sich überrumpelt. Zwei Augenblicke später wirkte er beinahe gefasst.
„Komm doch rein.“ sagte er.
Nick machte platz, und Flips manövrierte den Rollstuhl mit geschmeidiger Routine an ihm
vorbei ins Wohnzimmer.
„Sie haben meine Mom kennengelernt.“ sagte Flips. „Sie sagt Sie sind okay. Und das ich
mal Hallo sagen soll.“

„Nett von dir. Willst du ne Coke oder so was?“
„Klar. Wieso nicht.“
Nick holte zwei Dosen Cola aus dem Kühlschrank.
„Das ist ne Billige.“ sagte Nick. „Bis ich mir die Original Coca Cola leisten kann, muss
ich mich mit der hier begnügen.“
„Ist schon okay.“ sagte Flips. „Ne ziemliche Absteige hier, oder?“
„Es ist n Dach über m Kopf. Mehr kann ich im Moment nicht verlangen.“
„Meine Mom sagt, Sie sind ein berühmter Boxer.“ sagte Flips. „Hab Sie noch nie
kämpfen gesehen. Sind Sie gut?“
„Ich kämpfe nicht mehr.“
„Oh. Bestimmt die Schulter, was?“
Nick sah den Jungen misstrauisch an.
„Das hat deine Mom dir verraten!“ sagte er.
„Erwischt. Ich dachte ich tue so, als hätte ich es aus Ihren Bewegungen gelesen, aber das
kann ich dann wohl vergessen.“
„Sieht ganz so aus.“ Nick setzte sich auf die Couch.
„Du stehst also auf Wrestling?“ fragte er.
„Klar. Ich steh ́auf alle Sportarten. Wahrscheinlich weil ich nie welche machen werde.
Aber Kämpfe sind mir das Liebste.“
Nick atmete tief durch. Er fummelte eine Zigarette aus seiner Hemdtasche.
„Janine mag es nicht, wenn im Haus geraucht wird.“ sagte Flips.
„Also das hier ist meine Wohnung! Ich rauche ja nicht im Hausflur. Und du wirst mich
sicher nicht verpfeifen.“
„Wahrscheinlich nicht. Wer ist Ihr Lieblingsboxer?“
Nick runzelte die Stirn und zündete die Zigarette an. „Na ich selbst natürlich.“ sagte er.
„Ich steh ́auf Mike Tyson.“ sagte Flips. „Auf Youtube hab ich seine besten Knockouts
gesehen. Der Typ ist krass.“
Nick atmete tief den Rauch ein.
„Tyson was? Tyson war ein Arschloch!“
„Mag sein, aber ein tougher Boxer. Obwohl ich eigentlich mehr auf Bruce Lee stehe.“
„Der war aber kein Boxer.“
„Egal. Der hat alle fertig gemacht. Meine Mom hat mich die Filme sehen lassen. Auch
die ab 18! Bisschen veraltet, aber cooler Stil irgendwie.“
„Mann, du bist aber ziemlich aufgeweckt für einen Zwölfjährigen.“
„Kann sein. Und Sie gehen am Wochenende mit mir zum Wrestling? Wie hat meine Mom
Sie dazu überredet? Weil ich am Samstag Geburtstag habe bestimmt.“
Nick schaute resignierend zur Decke, und fragte sich was Anna ihm noch vorenthalten
hatte.
„Was du nicht sagst.“ brummte er.
„Das wird der Hammer! Ne mega Show. Mom kann damit nicht viel anfangen. Sie steht
auf Robert Redford Filme. Ich finde dafür ist sie zu jung.“
„Definitiv. Sag mal, was ist eigentlich mit deinem Vater? Warum geht der nicht mit dir
hin?“
„Der ist scheiße!“
„Okay… Verstehe. Die meisten Väter sind scheiße. Und siehst du ihn ab und zu?“

„Nein. Der ist abgehauen. Als ich den Unfall hatte, mit fünf Jahren. Ich kann mich kaum
an ihn erinnern. Aber Mom sagt, er lebt jetzt in Brasilien und verlegt dort Rohre oder so
was.“
„Hmh, Rohre, was?. Na gut. Also wie auch immer. Ich muss noch aufräumen und sauber
machen. Ich hole dich dann am Samstag ab. Gegen 19 Uhr würde ich sagen.“
„Okay. Cool. Bis dann.“
Am Samstag warteten Flips und Anna bereits, als Nick aus der Tür kam.
Flips trug ein verwaschenes Chicago Bulls Cap und eine Plastiksonnenbrille.
„Hey.“ grüßte Anna zwinkernd.
„Hey.“ erwiderte Nick.
Er transportierte den Rollstuhl rückwärts die Treppe hinunter, während ihn Flips mit
Informationen zur bevorstehenden Show fütterte. Offensichtlich war sein großer Held ein
Kerl namens Mr. Geil, der so etwas wie das Aushängeschild der Organisation war. Zu dem
war er der Lokalpatriot, was ihn in Flips`Augen weiter begünstigte.
Die Show selbst fand in einer Sporthalle des ASC statt. Es war eine recht familiäre
Atmosphäre, und um den Ring waren Stühle aufgebaut und einige Bänke, wie Nick sie
noch aus dem eigenen Sportunterricht kannte.
Sie ergatterten einen Platz nahe des Rings, wo Flips neben einer Längsbank einparken
konnte. Nick holte Getränke und etwas Popcorn, weil Flips darauf bestand das sie sich den
großen Hunger für das anstehende Abendessen aufsparen sollten.
Nick war erfreut darüber, dass Flips direkt mit einem korpulenten Kerl neben ihnen ins
Gespräch kam, und sie fachmännisch über die anstehende Show philosophierten. Sie
tauschten Wissen über professionelles Wrestling aus, ihre Lieblings Superstars von damals
und heute, und Nick konnte nichts wirklich substanzielles zur Unterhaltung beitragen. Den
Namen Randy Savage hatte er schon gehört, auch Stone Cold sagte ihm etwas, der Rest
waren Namen und Begriffe die er nicht zuordnen konnte.
„Ich war Boxer.“ sagte Nick, als der korpulente Kerl der sich als Dan vorgestellt hatte ihn
erwartungsvoll ansah.
„Ich fürchte ich kenne mich mit Wrestling nicht besonders gut aus.“
Dan schüttelte resignierend den Kopf, als wäre es eine Todsünde nicht über die aktuellsten
Geschehnisse in Puncto Wrestling Bescheid zu wissen.
„Boxen ist nicht schlecht.“ sagte Dan. „Aber die Jungs hier, die liefern ne Show auf
einem ganz anderen Level!“
„Hmh.“ knurrte Nick. „Wahrscheinlich.“
Dann begann die Show. Das Licht verdunkelte sich, und eine monströse Einlaufmusik
kündete den ersten Kämpfer an. Nick war nicht entgangen, das Flips der Ringsprecherin in
der knappen Bekleidung verstohlene Blicke zuwarf. Vermutlich ging es dem Rest der
männlichen Besucher ähnlich. Jedenfalls schien er ihr mehr Beachtung zu schenken, als
dem wuchtigen Kerl, der sich als Fleischer gekleidet hatte, und mit einem Hackebeil
bewaffnet zum Ring torkelte. Das Publikum buhte und rief einige Beleidigungen. Als der
Gegner des Fleischers in die Halle marschierte, brachen die Fans in unbändige Jubelstürme
aus.
„Das ist Mr. Geil!“ rief Flips. „Gleich im ersten Match! Unglaublich.“
Nick fragte sich, ob er der einzige im Raum war, der auf der Seite des Fleischers war. Mr.
Geil kam ihm irgendwie schwul vor.

Der Fleischer verlor das Match nach einigen Minuten, nachdem er Mr. Geil mit seinem
Hackebeil verfehlt hatte, und in dessen Finishing Move gestürmt war.
„Mist.“ brummte Nick. Flips und dem Großteil des Publikums schien der Ausgang recht
gewesen zu sein.
Die Show nahm ihren Lauf. Irgendwann musste auch Nick eingestehen, dass er
einigermaßen gut unterhalten wurde. Nur als am Ende erneut Mr. Geil auftauchte, um den
amtierenden Champion herauszufordern, fand Nick es etwas vorhersehbar.
Am Ende Jubelte der Lokalmatador als neuer Titelträger, und das Göttinger Publikum
konnte zufrieden nach Hause und ins Wochenende entlassen werden.
Auf dem Rückweg war Flips noch ganz hin und weg, und auch Nick war etwas angesteckt
von der eigentümlichen Atmosphäre der Unterhaltung, die sich doch gehörig von der, in
der Welt des Boxens unterschied.
Als sie zu Hause ankamen, lächelte Anna. Nick und Flips trugen schwarze T-Shirts mit
weißem BWA-Logo.
„Da hat Sie wohl jemand überzeugt.“ intonierte sie.
„Na ja, wie man ́s nimmt.“ lächelte Nick.
Nach kurzen Schilderungen des Abends, saßen sie schließlich am Esstisch und warteten
auf das Essen.
„Also gut.“ rief Anna aus der Küche. „Ich weiß ich habe Ihnen Makkaroni versprochen,
oder war es Lasagne? Ich wusste es nicht mehr genau…na, wie auch immer. Es gibt
Fischstäbchen mit Kartoffelbrei! Möchten Sie lieber Weißwein oder Bier Nick?“
„Bier.“
„Und du Flips?“
„Weißwein.“
„Sehr komisch junger Mann. Cola oder Eistee?“
„Cola natürlich.“
„Soll ich Ihnen bei irgendwas helfen, Anna?“
„Nein, ich schaffe das schon.“
Einige Sekunden später schepperte es in der Küche.
„Scheiße!“ schrie Anna.
Nick sprang auf um nachzusehen was los war.
„Alles in Ordnung?“ fragte er, als er bemerkte das er in ein Fischstäbchen getreten war.
„Oh nein, Sie sind in ein Fischstäbchen getreten!“
„Was Sie nicht sagen…“ Nick lachte und fummelte die Panade von seinem Turnschuh.
„Dem hab ich ́s gezeigt, was?. Der steht so schnell nicht wieder auf. Der Sieg durch
zerquetschen geht eindeutig an mich!“
„Was lacht ihr denn so?“ rief Flips. „Was ist mit den Fischstäbchen?“
Eine gute dreiviertel Stunde später klingelte es an der Tür, und ein pickliger Bursche
brachte Pizza.
Mittlerweile hatten sie sich ins Wohnzimmer gesetzt, und Flips hatte darauf bestanden
Nick einige seiner Lieblingskämpfe auf Youtube zu zeigen.
Nachdem sie sich gestärkt hatten, und von Bier und Wein beflügelt wurden, stimmte Anna
ein Geburtstagslied an. Flips schien es peinlich zu sein, und Nick war es peinlich das er
Flips` Geburtstagsgeschenk in seiner Wohnung vergessen hatte. Er eilte kurz rüber, und

kehrte mit einem Poster von Bruce Lee zurück, das er mit wiederholten Glückwünschen an
Flips überreichte.
„Wow!“ freute sich Flips. „Danke Nick. Das ist echt der Hammer.“
„Das können wir morgen aufhängen, bevor deine Freunde zur Party kommen.“ sagte
Anna. „Jetzt ist ́s Zeit sich für ́s Bett fertig zu machen.“
Flips protestierte kurz, sah dann aber ein, das der morgige Tag schneller käme, wenn er
früher schlief.
Als Flips im Bett war, öffnete Anna eine neue Flasche Wein. Nick blieb bei Bier.
„Das war wirklich nett von Ihnen.“ sagte Anna. „Das Sie mit meinem Sohn zu der Show
gegangen sind meine ich. Immerhin kennen wir uns kaum, und vielleicht habe ich Sie
etwas überrumpelt, weil ich Ihnen nicht gesagt habe, dass Flips im Rollstuhl sitzt.“
„Sie sind auf jeden Fall eine merkwürdige Person.“ sagte Nick.
„Und? Ist das Gut oder Schlecht?“ Anna fuhr mit dem Zeigefinger über den Rand ihres
Weinglases, und erzeugte einen langgezogenen Ton. Ihre Augen funkelten wie Smaragde.
„Ich schätze es ist was es ist.“ sagte Nick.
„Wieso gibt es keine Frau in Ihrem Leben? Sie sind doch ein durchaus attraktiver
Bursche.“
„Wer sagt denn das es keine Frau in meinem Leben gib?“
„Wenn Sie eine Frau hätten, würden Sie wohl kaum hier einziehen.“
„Sie wohnen doch auch hier. Und Janine auch. Und der alte Victor, den man nie zu
Gesicht bekommt.“
„Ich habe keine Wahl. Mein Ex hat mich sitzen lassen, als der Unfall mit Flips passiert
ist, und jetzt…“ Anna verstummte.
„Verlegt er Rohre in Brasilien!“ beendete Nick den Satz.
Nick nahm Anna das Glas aus der Hand, stellte es auf dem Couchtisch ab und zog sie zu
sich ran. Ihre Haut war warm, und sie duftete nach Parfum.
„Sie sind eine wirklich gutaussehende Frau.“ sagte er. „Das ist mir seit dem ersten
Moment nicht mehr aus dem Kopf gegangen.“
„Ach ja.“ Anna sah ihm tief in die Augen. Nicks Blick hielt stand. „Sind Sie deshalb mit
meinem Sohn zum Wrestling gegangen?“ hauchte sie. Jetzt legte sie den Kopf etwas nach
hinten, und gab ihren Hals preis.
„Nur deshalb.“ flüsterte Nick und näherte sich weiter.
„Das ist aber ganz schön unanständig.“
„Was denn?“ Er küsste Annas Hals, und seine Hand arbeitete sich langsam unter ihren
Rock.
„Was für raue Hände Sie haben!“ stöhnte Anna. „Wie Schmirgelpapier!“
„Ich schmirgele wirklich gerne. Dann werden die Dinge so schön glatt!“
Nick bekam ihren Slip zu fassen.
Die Luft knisterte vor Elektrizität als sie es taten.
„Was dagegen wenn ich rauche?“ fragte Nick hinterher.
Sie lagen umschlungen auf der Couch, eingehüllt in eine leichte Decke.
„Mach was du willst.“ sagte Anna. „Ich bin völlig erledigt.“
Sie hob den Kopf von seiner Brust und sah ihn an.
„Du hast ́s echt nötig gehabt, was?“
Nick tastete nach seiner Hose, fand die Zigaretten und zündete sich eine an.

„Ich will aber nicht, das du mich für leicht zu haben hältst.“ sagte Anna. „Das bin ich
nämlich nicht. Das war das erste mal, das ich so etwas gemacht habe.“
„Ach ja? Woher kommt dann Flips?“ grinste Nick.
„Du weißt was ich meine.“
„Schon gut. Ich bin nicht hier um mir ein Urteil zu erlauben.“
„Dann ist es ja gut. Lass mich mal ziehen.“
Nick hielt Anna die Zigarette zwischen die Lippen, so das sie inhalieren konnte.
„Hast du eigentlich schon mit Janine gesprochen? Wegen des Jobs.“
„Ach so, ja. Weißt du…die Sache ist die…“
„Was?“
Anna lächelte verlegen.
„Um dir die Wahrheit zu sagen…Du hattest den Job eigentlich von Anfang an sicher.“
„Was soll das heißen, von Anfang an?“
„Na ja, das war n ziemlicher Zufall. Janine meinte das hier ein neuer Mann einziehen
würde… und ich sollte ihm mal vorsichtig auf den Zahn fühlen, ob der sich für einige
Reparaturen am Haus eignen würde. Ich sollte dich quasi abchecken. Und dann hast du
von dir aus gesagt, das du als Hausmeister arbeiten willst. Und Viola! Da sind wir!“
„Ganz schön clever! Vor allem ziemlich vorsichtig… Das heißt aber, das ich bei dir einen
gut habe.“
„Hey! Du durftest immerhin über mich drüber! Und fast hätte ich ́s geschafft für uns zu
kochen. Ich denke eher das ich einen gut habe. So, und jetzt verschwinde. Ich muss
morgen früh aufstehen, um die Party für Flips vorzubereiten.“
Nick ließ die Kippe in der leeren Weinflasche erlöschen und zog sich an.
„Wir sehen uns.“ sagte er.
Sie küssten sich leidenschaftlich zum Abschied, dann schlich Nick unauffällig aus der
Wohnung, ohne das es dafür einen besonderen Grund gegeben hätte.
Nicks Wohnungstür drückte sich nach innen, als er aufschließen wollte. Offensichtlich
hatte er vorhin vergessen sie richtig zuzuziehen. Er vergewisserte sich das sie diesmal
korrekt verschlossen war, knipste das Licht an und erstarrte.
„Hallo Niklas.“
Auf seiner Couch saß ein Mann in Lederjacke, einen Hut auf dem Kopf, eine 33er auf ihn
gerichtet.
„Hat ́s dir die Sprache verschlagen?“
„Rodriguez.“ sagte Nick. Das Atmen viel ihm schwer. „Wie habt ihr mich so schnell
gefunden?“
Der Rodriguez genannte Mann machte ein Gesicht, als wollte er fragen ob die Frage
tatsächlich ernst gemeint wäre.
„Tja weißt du“ sagte er „das spielt eigentlich keine Rolle. Was jedoch bedauerlicherweise
eine Rolle spielt, ist das du Toni dem König Geld schuldest. Vielleicht erinnerst du dich
daran? Es gab da so eine Vereinbarung. Klingelt da was bei dir? Erinnern sich deine
verbliebenen grauen Zellen da vielleicht an etwas? An einen gewissen Kampf zum
Beispiel. Weißt du das noch? Du solltest doch in besagtem Kampf in der dritten Runde auf
die Bretter gehen, wenn ich mich nicht täusche. Und verzeih mir das Loblied auf mein
Gedächtnis und meine Intelligenz, aber ich täusche mich äußerst selten, mit der Tendenz
zu nie. Nur aus irgendeinem Grund hast du dich umentschieden, und das Arschloch

ausgeknockt. Also mich persönlich interessieren die Gründe dafür nicht. Ich bin es ja nicht,
dem du die 25.000 schuldest. Es ist nur so, dass auf eine irgendwie nervtötende Art und
Weise, mein Honorar für den Job hier, von dem Geld abhängt, das du Toni dem König
schuldest. Du siehst also, es herrscht ein reges Interesse vor, bezüglich der Einstreichung
der Summe. Man könnte sagen Partei A ist nicht in der Lage Partei B für geleistete Dienste
zu entschädigen, wenn Partei B es nicht schafft, Partei C zu überzeugen seine Schulden bei
Partei A zu begleichen. Ich muss dir wohl nicht extra auseinanderdividieren, wer in der
Gleichung die Plätze von Partei A, B und C einnimmt. “
„Hast du dich jetzt genug selber reden gehört, Rodriguez?“
Nick öffnete den Kühlschrank und nahm sich ein Bier heraus.
„Sicher.“ sagte der Mann mit der 33er. „Du hast eine Woche Zeit, um das Geld
aufzutreiben. Du weißt was passiert, wenn du es nicht hast.“
„Du philosophierst mich zu tode?“
„Schön das du deinen Sinn für Humor beibehalten hast Nick. Mal abwarten wie viele
Kugeln es braucht, bis du nicht mehr lachst.“
Der Mann erhob sich langsam von der Couch. Die Waffe hielt er weiter auf Nick gerichtet,
während er sich zur Tür bewegte. Nick wich in sicherem Abstand um ihn herum, bis sie
die Plätze getauscht hatten, und Rodriguez auf der Seite mit der Tür stand.
„Die Bude ist wirklich total für ́n Arsch, Nick.“ sagte Rodriguez abschließend und
verschwand durch die Tür und in die Nacht.
Nick fummelte mit leicht zitternder Hand eine Zigarette aus seiner Hose, und steckte sie in
den Mund ohne sie anzuzünden.
Er ließ sich auf die Couch fallen, legte den Kopf in den Nacken, und erblickte die
ramponierten Boxhandschuhe, die wie ein Damoklesschwert über ihm baumelten.
Dann zündete er die Zigarette an, legte die Füße auf den Tisch und saß einfach nur da. Wie
́s aussah, hatte er doch noch einen letzten Kampf vor sich.

Von Dan

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